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Da versagt der deutsche Superlativ

Indien ein Land der Extreme, das alle Maßstäbe verschiebt

30 Sauerländer haben sich mit Vikar Shijo Kottekaly von Heggen aus auf den Weg in sein Heimatland Indien gemacht. Mit seinen Zeitzonen verschiebt sich nicht nur die Uhrzeit.
Mit seinen Zeitzonen verschieben sich gleich alle anderen Grenzen, Maßstäbe und Ordnungen
und zwar übergangslos.
Aus dem schrecklichsten Elend hinein in die herrlichsten Paläste, vom lautstarken Gehupe des nie endenden Verkehrs zur Gelassenheit der heiligen Kühe. Die ständige Ermahnung unseres Fremdenführers war: „Geht wie die Kühe über die Straße.“ Nicht gerade ein Kompliment, aber lebensrettend.
Zwischen ungewöhnlich und befremdlich wirkte bei vielen von uns die Freundlichkeit gerade gegenüber uns Deutschen. Die Großen und Blonden unter uns waren begehrte Foto-“Objekte“.
Überhaupt ist der Respekt und die uns entgegengebrachte Höflichkeit, Gastfreundschaft und Herzlichkeit ein eigenes Markenzeichen der Inder, das es in unseren Breitengraden eher selten bis gar nicht zu finden gibt.
Indien ist mehr als das atemberaubende Taj Mahal, der weltweit außerordentlichste und in Stein gehauene Liebesbeweis des Mughal-Kaisers Shan Jahan, dass er seiner Lieblingsfrau Mumtanz Mahal in Agra gebaut hat. Selbstbewusst, wie sie scheint’s war, hat sie sich vor ihrem Tod ein Grabmal gewünscht, das seinesgleichen suchte und von keinem anderen übertroffen werden sollte.
Ihr Wunsch ist erfüllt worden.
Ein anderes Beispiel für Maßlosigkeit ist der Maharadscha von Jaipur mit seinen 250 kg Lebendgewicht. Er ist an den Ansprüchen und Wünschen seiner 108 Frauen wohl gescheitert. Er ist mit 40 Jahren gestorben. Warum? Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Zurückgeblieben ist sein überdimensionales Nachtgewand und sein Palast. Die Prachtentfaltung gibt bis auf den heutigen Tag Zeugnis vom Höchststand der Architektur, der Handwerkskunst und des Kunstgewerbes, der Kultur und der Wissenschaft in Indien.
Direkt vor den Toren der Paläste tobt heute das Chaos. In der 36 Millionenstadt Neu Delhi wälzt sich an den Zeugnissen größter Prachtentfaltung vergangener Zeiten der Verkehr einer der größten Metropolen der Welt vorbei. Statt der 3 eingezeichneten Spuren schaffen sich die Autos, Laster, Busse, die Motorräder und Tuk Tuks, aus denen die Menschen zum Teil mehr draußen hängen als drinnen sitzen, die Pferdekarren und Fahrräder mit ihren Türmen an Waren, sie alle verschaffen sich Platz, wenn es geht auch zu siebt nebeneinander. Ein Ausweichen auf die Bürgersteige ist nicht möglich. Die gibt es erst gar nicht, jedenfalls nicht erkennbar. Eine Führerscheinprüfung gibt es auch nicht. Nur hupen muss man können. Den Rest lehrt das geschmeidige Wogen der Blechlawine.
Wenn nicht? Das ist schlecht! Rettungsgassen für Krankenwagen gibt es auch nicht. Nebenbei bemerkt: Krankenwagenfahrer ist wohl einer von den vielen herausfordernden Jobs in Indien.

Verlässt man die Stätten der Hyper-Zivilisation mit allen ihren positiven und negativen Folgen und nähert man sich dem Süden des Landes wird es merklich sauberer und geordneter. Eine Welt von unvorstellbarer Fruchtbarkeit tut sich auf: der Tropenwald. Die Natur bietet alles, was der Mensch braucht. Und das selbstverständlich im Übermaß, in Kingsize.
Strände ohne Ende, Ayurveda, die jahrtausendalten Heilmethoden, die riesigen Teeplantagen, von denen aus die besten Teesorten und die exotischsten Gewürze in alle Welt verschickt werden. Die Backwaters von Alleppey, die alten chinesischen Fischernetze von Cochin, die heute noch in Betrieb sind und mitten in der Idylle: der Konsumtempel „Lulu“ von europäischer Prägung aber indischen Ausmaßen. Eben noch größer, noch blinkender und glitzernder.
Es gibt in der Welt schwerlich ein vergleichbares Maß an Pracht und Schönheit und gleichzeitig nichts vergleichbar Dreckiges und Elendes.
Unsere Reise war allerdings nicht nur touristisch. Dank der guten Verbindungen von Vikar Shijo Kottekaly kam es zu bewegenden Begegnungen mit der indischen Bevölkerung. Allein 6 Sozialeinrichtungen standen auf dem Programm. Z.B. im Heim für notleidende Frauen in Delhi, das von den Schwestern der Ärmsten und Notleidenden in Agra geleitet wird und behinderte Mädchen und Frauen aufnimmt. Der Besuch einer Schule in Jaipur, der Besuch eines Klosters der Karmeliten mit ihren neuen Kandidaten und der Besuch eines Heimes für behinderte Jungen in Kuttigad. Alles katholische Einrichtungen, weil von staatlicher Seite keine Hilfe kommt für Menschen mit körperlichen und psychischen Leiden. Krankheit und Armut sind für viele immer noch das Schicksal der niedrigen Kaste, obwohl das Kastenwesen offiziell abgeschafft ist. Der Weg zu einigen dieser Einrichtungen kam uns bekannt vor. Aus dem Film „Der kleine Lord“. Es war das „Earl’s lane des 21. Jahrhunderts.“
Alle Besuche gingen unter die Haut. Da war spürbar, dass es ein Licht in tiefster Dunkelheit gibt.
„Es gibt keinen Inder und keine Inderin, die bzw. der nicht aus einer tiefen Spiritualität heraus lebt“, behauptete unser indischer Fremdenführer, der selbst Sikh war und wovon wir uns in der heiligen Messe der Heimatgemeinde von Vikar Shijo im syro-malabarischen Ritus überzeugen konnten. Proppe voll, lebendig und laut beteten und sangen alle.
Wir glaubten, alles schon gesehen und erfahren zu haben. Nur der Besuch bei der Familie von Vikar Shijo stand noch an. Er hatte uns aber auch nicht im Mindesten vorbereitet.
Wenn schon Schmutz und Elend kaum zu ertragen sind, noch viel weniger sind ist es die überwältigende Gastfreundschaft und Herzenswärme der Inder. Der Empfang bei seiner Familie war genau so: Überwältigend!!! und hat uns sprachlos gemacht. Es braucht aber keine Sprache mehr, wenn die Herzen sprechen.

Indien klingt lange nach. Mit Indien wird man nicht so leicht fertig.
Indien – ein Land für alle, die starke Nerven haben und auch einen Ritt auf dem Rücken der prächtig geschmückten Elefanten hinauf zum Fort Amber in Jaipur genießen sollten.
Indien ist faszinierend, gigantisch, ergreifend, lebendig!!!
Indien ist alles, aber eben alles mehr, alles gleichzeitig.
Das ist jetzt doch ein Superlativ.
„Namaste“ und „nanni“, Indien!

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